Frau Holle in Murnau

Am 19. November brachte das Projekt „Wirkwerk Weilheim“ im Rahmen der Kindertheatertage erneut das „Theater Zitadelle“ aus Berlin in unsere Gegend. Die beiden Künstler bezauberten die Schülerinnen und Schüler mit ihrer liebevoll gestalteten Bühnenwelt und ihrem einzigartigen Puppenspiel.

Wer hätte das gedacht? Frau Holle, die Olle, hat eine alte Katze und eine Maus! Nicht „Mausi“, sondern Maus! Klein, aber oho! Ein aufgewecktes Tierchen, doch leider mit dünnen und schwachen Ärmchen. Wer kann Frau Holle bei ihrer Arbeit helfen? Die Maus ist winzig und die Katze ist zu alt. Frau Holle ist zuständig dafür, dass es auf der Welt schneit. Dafür muss sie ihre Betten ausschütteln. Und da lässt sie auch den Petrus nicht ran, der es gerne mal schneien lassen würde! Nein, da käme ja alles durcheinander! Für den Schnee ist allein Frau Holle zuständig und Petrus macht das übrige Wetter.

So ist das in dem Land, in dem buchstäblich alles möglich ist. Marie, die in den Brunnen fällt und sich unversehens auf einer schönen Blumenwiese wiederfindet, merkt das sehr schnell. Ein Brot, das ruft? Ist doch klar, dass man es aus dem Ofen holen muss! Ein sprechender Apfel? Wer würde ihn wohl nicht ernten? Marie holt ihn, auf einem Teppichklopfer reitend, vom Baum. Und ein Jahr lang hilft sie der Frau Holle. Während dieser Zeit werden Katze und Maus ihre Freunde, natürlich! Im Frühjahr jedoch überkommt Marie das Heimweh. Sie möchte nach Hause zu ihrer Schwester Mareike. Als Marie durch das Regenbogentor auf die Erde zurückkehrt, wird sie mit einem herrlichen Goldkleid belohnt.

Ein solches Goldkleid hätte Mareike auch gerne. Denn ein Selfie damit käme bestimmt gut bei ihrer Internet-Community an! Also springt sie in den Brunnen, um auch auf der Wiese bei Frau Holle zu landen. Für Brote und Äpfel hat sie allerdings keine Zeit. Schließlich muss sie sich um ihren Account und ihre Follower kümmern! Bei Frau Holle angekommen, ist sie taub für die Witze, die Maus und Katze sich erzählen. Sie ist ja viel zu beschäftigt mit der Produktion von „Content“. Mareike zeigt Frau Holle Videos, die sie von ihrer fleißigen Schwester aufgenommen hat. Man sieht Marie beim Hühnerfüttern und beim Wäscheaufhängen – alles  in der neuen „Schattenspiel-Optik“. Es dauert jedoch nicht lange, dann ist der Akku von Mareikes Handy leer. Sie muss zurück auf die Erde! Anstelle eines goldenen Kleides gibt es am Regenbogentor nur ein dunkelfarbiges, das Mareike lieber nicht anzieht.

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch da bringt der Postbote Frau Holle ein kleines Päckchen. Darin ist ein Handy! Was für eine Überraschung! Frau Holle wählt die eingestellte Nummer – und spricht – mit wem wohl? Marie und Mareike sind dran! Marie ist umtriebig wie immer. Doch auch ihre Schwester Mareike hat jetzt herausgefunden, wie spannend ein Leben ohne Handy sein kann. Sie weiß nun sogar, welche Namen die Hühner haben.

Bei dieser Produktion zeigt das Theater Zitadelle erneut die hohe Kunst des Figurenspiels. Im Zentrum immer die Person Frau Holle, die mit den Puppen spricht, sich gemeinsam mit ihnen erinnert, mit ihnen diskutiert und so die Zuschauer in eine ganz eigene Welt eintauchen lässt. Die Lichtregie, die Schattenspiel-Elemente und die „durchschaubaren“ und trotzdem staunenswerten „special effects“, vom rauchenden Ofen über den rieselnden Schnee bis zum Goldregen, machen das Stück in Kombination mit den liebevoll gestalteten Puppen zum Erlebnis. Sowohl die gekonnte Einspielung von Geräuschen und Stimmen als auch die so sparsam wie effektiv eingesetzte Musik unterstützen die Wirkung. Großartig, wie unkonventionell der bekannte Märchenstoff hier erzählt wird! Die zeit-gemäße Ausrichtung mit der Person der handysüchtigen Pechmarie wirkt zu keiner Zeit aufdringlich oder belehrend. Durch den überraschenden Schluss wird vermieden, das Mobiltelefon zu verteufeln: Die Möglichkeit, ganz leicht mit jemandem Kontakt aufnehmen zu können ist ja überaus positiv und erfreulich!

Als Maus Frau Holle darauf hinweist, dass sie beim Abflug in ihre Wolkenküche das Handy zurückgelassen hat, wird allerdings klar, dass die Wetterfrau auch in Zukunft keine App haben möchte, die ihr vorschreibt, wann sie es schneien lassen soll.

Bericht und Fotos: Bernhard Apel